Behandlung

Die Behandlung einer Essstörung berücksichtigt die Faktoren, die dazu beigetragen haben, dass die Störung entstanden ist und aufrechterhalten wurde.

Der Ablauf ist grob der folgende:

  • Basisvereinbarungen treffen
  • Individuellen Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Essstörung erarbeiten
  • Ziele festlegen: Was möchten ich in der Therapie erreichen?
  • Essverhalten analysieren (Selbstbeobachtungen)
  • Essverhalten verändern
  • Arbeit an der Körperschemastörung
  • Arbeit an den Hintergründen der Störung

Entsprechend der Faktoren, die an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Essstörung beteiligt sind, ist eine individuelle Behandlung notwendig. Die Therapie wird zwei Behandlungsstränge verfolgen: zum einen die Arbeit am Symptom der Essstörung selber, zum anderen die Therapie am Symptomhintergrund. Die Planung und Durchführung der Therapie erfolgen hierbei in steter Absprache mit den Betroffenen.

Wie läuft die Behandlung der Essstörung konkret ab?

  1. Nachdem mit dem*r Therapeut*in bestimmte Basisvereinbarungen getroffen wurden (z.B. über ein notwendiges Mindestgewicht, um die Therapie im ambulanten Rahmen durchführen zu können), werden Patient*in und Therapeut*in gemeinsam herausarbeiten, welche Faktoren zur Entstehung der Essstörung beigetragen haben und welche Faktoren die Essstörung aufrechterhalten. Dieses individuelle "Erklärungmodell" ist dann die Basis, um hieraus sowohl Ziele für die Arbeit an der Essstörung selber als auch Ziele bezogen auf den Hintergrund der Störung abzuleiten.
  2. Oft wird zunächst die Arbeit an der Esssymptomatik selber im Vordergrund stehen, um das Essverhalten zu stabilisieren, die Häufigkeit von Heißhungerattacken zu reduzieren und einen kritischen Untergewichtsbereich zu verlassen. → Dies ist die Basis, um belastbar genug zu sein für weiterführende Arbeit am Symptomhintergrund!
  3. Bei der konkreten Arbeit am Essverhalten wird zunächst eine sehr genaue Selbstbeobachtung des Essverhaltens im Vordergrund stehen. Hierzu ist das Führen detaillierter Essprotokolle notwendig. In welchenSituationen isst der*die Patient*in welche Nahrungsmittel? Welche Gedanken und Gefühle begleiten ihn*sie dabei? Wie erlebt er*sie Hunger und Sättigung? Hierdurch wird zunehmend deutlich werden, wann (in welchen Situationen und unter welchen psychischen "Vorbedingungen") gestörtes Essverhalten (Hungern, Essanfälle, Gegenregulation) auftritt. Sind typische Auslöser für Heißhungerattacken identifiziert, wird der*die Therapeut*in mit dem*r Betroffenen alternative Handlungsstrategien und Kontrolltechniken erarbeiten. Wichtig wird sein, diese Techniken sehr konkret einzuüben, um dem Impuls des Essens (welcher ja zumeist auch über eine längere Zeit automatisiert wurde) entgegenzuwirken.
  4. Ungünstige Gedanken, die entweder Essanfälle und Gegenregulation auslösen oder das Hungern begleiten, wird der*die Patient*in lernen zu beobachten und zu überprüfen. Gemeinsam mit dem*r Therapeut*in wird ein strukturierter Essensplan entwickelt, der helfen kann, zunächst einmal wieder Regelmäßigkeit und Struktur ins Essverhalten zu bringen. Auf diese Weise lernt der*die Betroffene, wieder "normale Portionsgrößen" zu essen und den Teufelskreis aus Hungern-Heißhungeranfall-Gegenregulation zu durchbrechen. Der*die Therapeut*in wird hier individuell die Vorstellungen des*r Patient*in berücksichtigen, aber auch auf eine ausreichende Nahrungszufuhr und Nahrungsvielfalt achten. Möglicherweise werden auch zusätzliche Termine bei einem*r Ernährungswissenschaftler*in (Ökotropholog*in) vorgeschlagen.
  5. Für das Erreichen eines medizinisch notwendigen Mindestgewichtes wird der*die Therapeut*in mit dem*r Patient*in möglicherweise stufenweise Gewichtsvereinbarungen treffen und das Gewicht regelmäßig kontrollieren lassen (etwa über den*die Hausarzt*ärztin). Es wird dann gemeinsam überlegt, wie man eine erfolgreiche Gewichtszunahme belohnen kann, aber auch, wie im Verlauf der Therapie mit einer Stagnation des Gewichtes oder einer Gewichtsabnahme umgegangen werden soll. Auch können essgestörte Patient*innen von einem zusätzlichen begrenzten stationären Aufenthalt zur Verbesserung ihres Essverhaltens und Steigerung des Gewichtes profitieren. Sollte dies in Erwägung gezogen werden, wird der*die Therapeut*in diesen Schritt mit dem*r Patient*in sehr genau vorbesprechen und gemeinsam mit ihm*r Vor- und Nachteile abwägen.
  6. Im weiteren Verlauf der Therapie wird der*die Patient*in lernen, erneute kurze Verschlechterungen des Essverhaltens (was im Übrigen normal ist im Verlauf einer Therapie) als Belastungssignal zu nutzen. Liegt eine Störung des Körperschemas vor, bieten sich konkrete Körperwahrnehmungs- und -konfrontationsübungen an. Möglich sind z.B. Betrachtungsübungen vor dem Spiegel, mit Hilfe derer eine realistischere Sicht auf den Körper unterstützt wird. Auch hier wird die Therapie in enger Absprache und in kleinen, bewältigbaren Schritten stattfinden.
  7. In einem zweiten Behandlungsstrang werden die Hintergründe der Essstörung stärker in den Fokus gerückt.Hier gilt es, persönliche Lebenserfahrungen und deren Bezug zur Essstörung herauszuarbeiten und zu vertiefen. Die biografisch-systemische Verhaltenstherapie ist hier geeignet, heutiges Verhalten und Erleben an alte Verhaltens- und Erlebens"muster" anzubinden und damit erklärbar zu machen. Auch können im Hintergrund stehende ungünstige Glaubenssätze und "Lebensanschauungen" herausgearbeitet werden. Diese Lebensanschauungen können dann gemeinsam auf ihre Gültigkeit und auf die durch sie verursachten "Kosten" überprüft werden. Manchmal macht es auch Sinn, die verschiedenen "intellektuell gewonnenen" Einsichten durch ganz bestimmte Verfahren (Vorstellungsübungen, Rollenspiele) "erlebbarer" zu machen.

Diese zweistrangige Therapie erfordert eine stetige Reflexion des Therapieverlaufes, um möglichen " Stolpersteinen" und "Therapiehindernissen" möglichst frühzeitig begegnen zu können. Daher wird der*die Therapeut*in in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit dem*r Betroffenen den jeweils aktuellen Stand der Zielerreichung (Wo stehen wir in Bezug auf die Symptom- und Hintergrundziele?) reflektieren.

Wie sinnvoll ist eine medikamentöse Behandlung?

Für die Behandlung der Anorexie gibt es derzeit kaum Belege für einen zusätzlichen positiven Effekt von Psychopharmaka. Methode der Wahl ist hier die Verhaltenstherapie. Bei einer schwereren bulimischen Symptomatik kann es (zumindest zeitweilig) Sinn machen, zusätzlich zur Verhaltenstherapie eine medikamentöse Behandlung einzuleiten. Obwohl die genaue Wirkungsweise der Medikamente im Gehirn noch nicht geklärt ist, können Medikamente helfen, indem sie z.B. den Drang zum Essen und Erbrechen dämpfen, den Antrieb heben und depressive Stimmungen lindern. Hierfür eignen sich insbesondere sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI).

Für manche Patient*innen stellt sich nach Beginn der Psychopharmakatherapie
heraus, dass diese eine große Hilfe ist. In diesen Fällen lindern Medikamente deutlich die akute seelische Notlage und der*die Patient*in kann sich sehr viel besser auf die psychotherapeutische Arbeit konzentrieren.

Zu einem späteren Zeitpunkt werden dann die Medikamente wieder abgesetzt, da der*die Patient*in nun seine*ihre Probleme mit dem in der Psychotherapie neu Gelernten ohne medikamentöse Unterstützung bewältigen kann und auch will. Scheint eine medikamentöse Mitbehandlung hilfreich, wird sich der*die
Therapeut*in nach Absprache mit dem*r Patient*in an den*die mitbehandelnde*n Facharzt*ärztin wenden und eine kombinierte Behandlung anstreben.