Entstehung & Aufrechterhaltung

Wie entsteht eine posttraumatische Belastungsstörung und wie wird sie aufrechterhalten?

Eine PTBS entsteht in Folge eines traumatischen Ereignisses, welches die gewöhnlich wirksamen Bewältigungskompetenzen überfordert und den Reizschutz der Betroffenen durchbricht. Bei den meisten psychischen Störungen geht man heute davon aus, dass eine Vielzahl verschiedener Faktoren (psychische, biologisch-neurophysiologische, umweltbedingt-systemische) und deren Wechselwirkung dazu beiträgt, dass die Störung entsteht und aufrecht erhalten wird. Die Gewichtung dieser Faktoren nimmt bei der posttraumatischen Belastungsstörung eine Sonderrolle ein.

Nicht alle Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung weisen die im Hintergrund liegenden Faktoren der Persönlichkeit auf, welche die Entwicklung der Störung beeinflussen. Es kann jedoch psychische und biologische Faktoren geben, die eine Verarbeitung nach der Traumatisierung erschweren.

Welche Faktoren erschweren die Bewältigung eines Traumas und wodurch entsteht die posttraumatische Belastungsstörung?

Psychologische Hintergrundfaktoren:
Wie oben bereits dargestellt, müssen Patient*innen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung vor dem Zeitpunkt der Traumatisierung keine psychischen Besonderheiten aufweisen. Wurde aber bereits ein Trauma oder sogar mehrere Traumata in der Vorgeschichte erlebt, kann dies den Auftritt einer posttraumatischen Belastungsstörung nach nochmaliger Traumatisierung deutlich begünstigen. Nichtsdestotrotz betrifft das Belastungsereignis einen Menschen mit bestimmten Grundzügen der Persönlichkeit, bestimmten Kompetenzen im Umgang mit Gefühlen, einem bestimmten Ausmaß an sozialem Rückhalt usw. All diese Faktoren wirken in die Entstehung der Symptomatik ein.

Annahmen eigener Unzulänglichkeit, Hilflosigkeit und Verlassenheit (z.B. bedingt durch emotionale Vernachlässigung) sowie bestehende psychische Erkrankungen (z.B. Depressionen oder Angststörungen) können ebenfalls den Umgang mit dem traumatischen Erlebnis erschweren.

Besonderheiten des Traumagedächtnisses:
Während einer traumatischen Erfahrung werden Informationen häufig verändert verarbeitet und gespeichert: Auf der einen Seite werden bestimmte Aspekte der Situation überstark wahrgenommen und verarbeitet (z.B. überstarke Konzentration auf Gerüche, Geräusche etc.). Diese Erinnerungen werden quasi in das Gedächtnis "eingebrannt", als Folge sind sie schneller und leichter wieder abrufbar. Demgegenüber werden andere Informationen (z.B. zu Raum und Zeit) kaum wahrgenommen und daher auch nicht verarbeitet. Als Folge können Erinnerungen an das Trauma häufig nicht eindeutig in Raum und Zeit eingeordnet werden, sondern liegen isoliert neben anderen Erinnerungen vor. Das Erlebte kann nicht klar als zur Vergangenheit gehörig eingeordnet werden, Betroffene haben das Gefühl, dass die Bedrohung gegenwärtig weiter besteht. Diese Besonderheit wird als "desintegiertes Traumagedächtnis" bezeichnet. Als Konsequenz können Traumaerinnerungen - anders als "normale" Erinnerungen - häufig nicht willentlich vollständig abgerufen werden (z.B. die Autofahrt vor dem Unfall), vielmehr liegen sie meist bruchstückhaft und ungeordnet vor. Andere Aspekte der Situation dagegen sind überdeutlich gespeichert (z.B. Geräusch des Aufpralls während eines Unfalls).

Wahrscheinlich kennen Sie es, dass Sie in einem inneren Dialog oder mit einer Ihnen nahestehenden Person Dinge besprechen, die Sie beschäftigen. Über ein Problem zu sprechen trägt zu dessen Verarbeitung bei. Dieser Vorgang eines "inneren Sprechens" ist während der traumatischen Erfahrung gestört und trägt auch zu einer schlechteren Verarbeitung des Traumas bei.

Biologische Faktoren:
Man geht davon aus, dass Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung Veränderungen in der Aktivität bestimmter Hirnsysteme zeigen. Insbesondere der Mandelkern (Amygdala), der eine große Rolle bei der Entstehung von Angst und bei der gefühlsbezogenen Bewertung von Situationen spielt, scheint überaktiv zu sein.

Andere Hirnsysteme dagegen (z.B. der für die Gedächtnisbildung zuständige Hippocampus) scheinen nach einem traumatischen Ereignis unteraktiv zu sein. Der Mandelkern beinhaltet auch das mit starken Gefühlen und Körpererlebnissen verbundene "Akutgedächtnis", in welchem Informationen unverarbeitet und nicht miteinander verknüpft vorliegen. Im Gegensatz dazu beinhaltet der Hippocampus verarbeitete, sprachlich angebundene und in Raum und Zeit eingeordnete Information. Liegt jetzt eine Überaktivierung des Mandelkerns bei einer gleichzeitigen Unteraktivierung des Hippocampus vor, spiegelt dies die Besonderheiten des Traumagedächtnisses (stärkere Verarbeitung von Sinneseindrücken und Gefühlen, mangelnde Verarbeitung von Informationen zu Raum und Zeit) wieder.

Wie wird eine posttraumatische Belastungsstörung aufrechterhalten?

Oftmals führen die Faktoren, die zum Auftreten einer PTBS beigetragen haben, auch dazu, dass diese weiter besteht. Liegen also im Hintergrund Faktoren vor, welche die Verarbeitung des Traumas erschweren (z.B. bestimmte Persönlichkeitszüge), halten diese auch die Störung aufrecht. Darüber hinaus können Überzeugungen (z.B. eigener Wert- oder Hilflosigkeit), die in Folge der Traumatisierung erworben wurden, eine Verarbeitung des Traumas erschweren. Zudem wird eine Posttraumatische Belastungsstörung vor allem durch ein sich-selbst stabilisierendes System (Teufelskreis) aufrechterhalten, das im Folgenden dargestellt wird.

Teufelskreis der posttraumatischen Belastungsstörung:

Der Teufelskreis der posttraumatischen Belastungsstörung entsteht dadurch, dass Erinnerungen an die traumatische Situation und bestimmte Merkmale der traumatischen Situation vermieden werden. Die Vermeidung führt kurzfristig zu einer Entlastung, hält jedoch langfristig die Symptome aufrecht oder verstärkt sie sogar. Während des Traumas werden Merkmale der traumatischen Situation (z.B. der Ort, bestimmte Geräusche) mit dem ausgelösten Gefühl (z.B. Angst) und einer Körperreaktion (z.B. Herzklopfen) verknüpft. Z.B. kann so eine Verknüpfung zwischen dem Ort einer bestimmten U-Bahn-Station, Neonlicht, Angst und starkem Herzklopfen gelernt werden, wenn Betroffene Opfer eines Überfalls in dieser U-Bahn-Station wurde.

Die gelernte Verknüpfung führt dazu, dass bestimmte Merkmale (z.B. die U-Bahn-Station) auch weiterhin (d.h. nach der Traumatisierung, wenn Betroffene wieder "in Sicherheit" sind) die entsprechenden Gefühle (Angst), Körperreaktionen (Herzklopfen) und Erinnerungen an das Trauma (Bilder vom Überfall) auslösen.

Um diese unangenehmen Konsequenzen abzuwenden, werden alle Reize, die zur Auslösung von unangenehmen Gefühlen, Körperreaktionen und Erinnerungen führen, zunehmend vermieden. Die Vermeidung führt zunächst zu einem Absinken der Angst - kurzfristig erscheint Vermeidung also als eine günstige Bewältigungsstrategie. Langfristig aber kommt es zunehmend zu einer Ausweitung der Angst: nicht mehr nur die genauen Merkmale der Situation lösen Erinnerungen und Angst aus, sondern vermehrt auch Situationen, die lediglich Ähnlichkeit mit der traumatischen Situation aufweisen (z.B. andere U-Bahn-Stationen, gekachelte Räume allgemein, Räume mit Neonlicht…). In der Folge werden auch diese Situationen vermieden. Ist es den Betroffenen nicht möglich, bestimmte Situationen direkt zu vermeiden, kommen häufig indirekte Vermeidungsstrategien zum Einsatz. Dies kann beispielsweise eine gedankliche Vermeidung durch Gedankenunterdrückung sein oder die Mitnahme von Gegenständen, die subjektive Sicherheit geben sollen (z.B. "Notfalltropfen").

Aufgrund des Vermeidungsverhaltens wird das traumatische Erlebnis jedoch nie vollständig verarbeitet, es liegt weiterhin isoliert neben den anderen Erinnerungen vor. Den Betroffenen gelingt es nicht, die traumatischen Erfahrungen in Raum und Zeit einzuordnen und als vergangen zu speichern, das Trauma wird weiterhin als gegenwärtige Bedrohung erlebt. Folglich können Traumaerinnerungen weiterhin schnell durch Reize, die im Zusammenhang mit dem Trauma stehen, ausgelöst werden, was wiederum die Neigung zur Vermeidung erhöht. Die direkte Vermeidung hindert die Betroffenen auch daran, neue positive Erfahrungen mit den gefürchteten Situationen und Reizen zu machen, die tatsächlich ja ungefährlich sind (z.B. bleibt durch die Vermeidung die Verbindung zwischen "Neonlicht" und "Angst" bestehen, obgleich "Neonlicht" an sich ungefährlich ist.). Hier ist der Teufelskreis der PTBS noch einmal abgebildet: